Zeichnungen: Kasia Jackowska
Salmo salar, Atlantiklachs
Herkunft und Lebensweise
Der Atlantiklachs gehört zur Klasse der Strahlenflosser, zur Ordnung der Lachsartigen und zur Familie der Salmoniden. Wild lebt der Atlantiklachs vor den Küsten des Nordatlantiks, entlang der USA und Kanada und von Portugal bis Skandinavien und nordwärts bis Südgrönland und Island, zudem in den über 2000 Flüssen, die in den Nordatlantik fliessen. Die Art wurde ferner in die Beringsee eingeführt. Atlantiklachse können bis zu 13 Jahre alt werden, ein Höchstgewicht von 47 kg und eine maximale Länge von 150 cm (Männchen) bzw. 120 cm (Weibchen) erreichen. Die gewöhnliche Länge beträgt 38 cm. Es scheint, dass der Atlantiklachs besser wächst, wenn die Dichte der Population abnimmt; für eine sichere Aussage sind jedoch weitere Studien nötig.
Atlantiklachse laichen im Oberlauf von Flüssen zwischen Oktober und Januar. Im ersten Sommer ihres Lebens entwickeln sich die jungen Lachse zu «Parr» und leben im Fluss ihrer Geburt für wenigstens ein und höchstens fünf Jahre. Im Verlauf ihres Wachstums weiten sie ihr Revier flussauf- und flussabwärts zunehmend aus, von zunächst weniger als 100 Metern bis zu mehreren Kilometern. Schliesslich passen sie sich an salzhaltiges Wasser an und verwandeln sich im Frühjahr in «Smolts». In der Folge wandern sie ins Meer, wo sie als erwachsene Tiere bis zu vier Jahre lang leben. Nach dieser Zeit wandern sie im Winter als «Grilse» zurück an ihren Geburtsort, um dort zu laichen. Danach sterben die meisten von der Reise erschöpften Tiere; nur wenige, die so genannten «Kelts», schaffen es ein zweites Mal.
Es wird noch immer darüber spekuliert, wie die Atlantiklachse es fertig bringen, genau an ihren Geburtsort zurückzukehren. Vermutet wird ein Zusammenspiel zwischen der Wahrnehmung des Magnetfelds und der Einprägung des Wasserdufts im Geruchsinn und/oder in der Seitenlinie.
Atlantiklachse bilden bereits als Fischbrut eine Hierarchie aus. Dominante Individuen sind sehr aktiv an Plätzen mit reichhaltigem Futterangebot und zeigen agressives Verhalten gegenüber Rangniedrigeren; diese hingegen schwimmen aufwärts, bewegen sich kaum und halten sich vom Futter fern. In der Wildnis sind Parr territorial und besetzen Lebensräume mit hoher Strömung und geringer Lachsdichte. Ältere Parr neigen zu weiter vom Ufer und vom Flussbett entfernten Plätzen, wo sie mehr Futter finden. Jüngere Parr dagegen müssen sich mit weniger optimalen Futterplätzen zufrieden geben, an welchen sie dafür Räubern weniger ausgesetzt sind. Es scheint, dass zunehmende Populationsdichte zu häufigeren oder ernsthafteren Aggressionen führt, doch weitere Faktoren mögen hier mitspielen.
In Flüssen schwimmen Smolts die meiste Zeit passiv kopfvoran stromabwärts. Das tun sie auch, um zu fliehen, wenn ihnen kein anderer Ausweg offensteht. In der Strömung erreichen die erwachsenen Tiere Geschwindigkeiten zwischen 0.2 und 28 km pro Tag, während sie im Meer 15 bis 30 km pro Tag zurücklegen. Um ihren Auftrieb aufrecht zu erhalten, füllen sie während Sprüngen über die Wasseroberfläche ihre Schwimmblase mit Luft.
In der Wildnis nimmt der individuell beanspruchte Bewegungsraum mit dem Alter zu. Jungtiere schwimmen weniger als 100 Meter stromauf- oder abwärts, ältere Parr bis zu mehreren Kilometern, Smolts bis zu 1800 km ins Meer, je nach Lebensraum und Hindernissen. Die bevorzugte Wassertiefe liegt zwischen 10 und 60 cm, aber wenn der Lebensraum es ermöglicht, schwimmen Atlantiklachse bis zu 6.5 Metern oder noch tiefer. In der Aquakultur wurde beobachtet, dass erwachsene Tiere die angebotene Tiefe voll nutzen, bis zu 15 Metern tief. Durch Abtauchen in die Tiefe ziehen sich die Tiere von abruptem Lichtwechsel, intensivem Licht, Lärm oder Räubern zurück. Dabei entleeren sie ihre Schwimmblase und füllen sie später wieder.
Junge Atlantiklachse bleiben auf dem Schotterbett, bis ihr Dottersack leer ist. (Foto: E. Peter Steenstra, U. S. Fish and Wildlife Service, Wikimedia)
Die Vorlieben für diverse Bodensubstrate, Fliessgeschwindigkeiten, Wassertemperaturen und Bewegungsräume unterscheiden sich erheblich. Im allgemeinen sind Atlantiklachse in Bezug auf das Substrat nicht sehr wählerisch, sie vermeiden aber feines Material wie Sand oder Schlamm. Die meisten Parr ziehen grössere Steine als Unterstand vor, nutzen hierfür aber auch Wasserpflanzen, überhängende Ufervegetation und Totholz. Sie wählen ihren Unterstand individuell und teilen ihn nicht mit andern.
Atlantiklachse leben in Wassertemperaturen zwischen 0 und 20 °C, vorzugsweise bei 4 bis 18 °C, schwimmen am besten bei 16-17 °C und wachsen am besten bei 14-19 °C. Sie reduzieren oder beenden die Nahrungsaufnahme unter 6-7 °C oder wechseln zur Fütterung in der Nacht. Sie können tiefere Temperaturen (eisbedeckte Flüsse) oder höhere Temperaturen überleben, wenn sie in Wasserschichten mit andern Temperaturen ausweichen oder einen Unterstand finden. Das Hauptproblem der Eisbedeckung von Flüssen besteht in der Einschränkung des Winterlebensraums und der Laichsaison.
Jungtiere vermeiden Lebensräume mit einer durchschnittlichen Fliessgeschwindigkeit von weniger als 3 cm pro Sekunde; sie bevorzugen eine Strömung von mehr als 6 cm pro Sekunde. Nimmt die Temperatur ab, versuchen Atlantiklachse, stärkeren Strömungen in Stromschwellen und Wasserläufen auszuweichen.
Atlantiklachse ernähren sich vorwiegend karnivor, von Wirbellosen, hauptsächlich von Wasserinsekten. Das Beutespektrum der verschiedenen Lebensphasen überschneidet sich weitgehend, aber Jungtiere fressen eher kleinere, erwachsene Tiere eher grössere Arten. In der Wildnis jagen Parr sowohl am Grund wie in der Strömung.
Atlantiklachse sind tagaktiv. Sie suchen ihr Futter bei Licht, sind bei Dunkelheit weniger aktiv und weniger territorial und neigen dazu, nachts zu ruhen. Jungtiere und Erwachsene schwimmen tagsüber tiefer in der Wassersäule als nachts, wahrscheinlich, um intensives Tageslicht zu meiden. Nachtaktivität kann gelegentlich bei tiefen Temperaturen beobachtet werden. Smolts allerdings wandern bei Nacht, wahrscheinlich, um Räubern auszuweichen.
Atlantiklachse reagieren empfindlich auf blau-grünes Licht. In Netzkäfigen tauchen sie zum Grund, um schwachem blauem Licht in der Nacht ausweichen, während sie bei höherer Lichtintensität aufgebracht herumschwimmen. Infraschall oder Klatschen auf die Wasseroberfläche führt zu vermehrtem Schwimmen und Tauchen.
Zum Laichen muss die Wassertemperatur während dreier Monate über 10 °C liegen, sollte aber 20 °C höchstens während weniger Wochen übersteigen. Das Weibchen meidet feines Substrat und bevorzugt eine Kieselkörnung bis zu 10 Prozent ihrer Körpergrösse. Es gräbt mittels wiederholtem Krümmen seines Körpers ein Nest (in der Regel eines), in das sie bis zu 450 Eier legt, 15-25 cm tief ins Kies, zum Schutz vor Licht, Räubern und hoher Strömung. Das dominante Männchen verscheucht Rivalen vom Laichplatz.
Netzkäfig im Meer zur Mast von Atlantiklachsen (Foto: Peter Whyte, CSIRO, Wikimedia)
Die Entwicklung der Lachszucht
Die Geschichte der Zucht von Atlantiklachs ist eher kurz. Sie begann im 19. Jahrhundert in Grossbritannien, als man Parr aufzog und sie in die Flüsse setzte, um den Fangertrag der Angler zu erhöhen. Die Zucht von Atlantiklachs zum Zweck, die Konsummärkte damit zu versorgen, begann erst in den 1960er Jahren. Zuerst in Netzkäfigen in norwegischen Fjords, nach ersten Erfolgen dann auch in Schottland, Irland, Frankreich, Spanien, Nordostkanada und den USA. Nach 1980 erreichte die Zucht von Atlantiklachs sogar Weltgegenden, in denen er nie zuvor gelebt hatte, wie Chile oder Australien.
Der heute gefarmte Atlantiklachs ist ein Hybride verschiedener Stämme. Die Zunahme der Zuchtanlagen, des Industrialisierungsgrads und des Produktionsvolumens führte zu fallenden Preisen, zu vermehrtem Kostendruck und in der Folge zu weiterer Intensivierung der Zucht. Schwere Ausbrüche von Krankheiten stellten die Lachszucht in Frage, in den 1980er Jahren in Norwegen und in den späten 2000er Jahren in Chile.
Zuchtlachse werden in Süsswasseranlagen aufgezogen. Sie verwandeln sich im ersten oder zweiten Lebensjahr in Smolts, je nach Temperatur- und Lichtregime der betreffenden Farm. Für die Mast werden die meisten Smolts in Netzkäfige vor der Küste verbracht. Die runden oder rechteckigen Käfige können eine Oberfläche von bis zu 24 Quadratmetern umfassen und bis zu 15-18 Meter tief reichen. Andere Smolts werden nahe der Küste gemästet, in Tanks, in die man Meerwasser pumpt.
Die neusten und ausgeklügeltsten Zuchten von Atlantiklachsen nutzen die Kreislauftechnik (Recirculation Aquaculture System, RAS) in landgestützen und geschlossenen Systemen. Derartige Anlagen für die Produktion von Smolts und auch für die Ausmast gibt es bereits in den USA, Skandinavien und China; projektiert sind Anlagen in den Schweizer Alpen und in Abu Dhabi. Die RAS-Zucht von Atlantiklachs sieht sich allerdings mit einer fragwürdigen Wendung konfrontiert: mit einem Projekt zur Zucht eines rascher und grösser wachsenden transgenen Atlatiklachses, das schon seit Jahren auf die Zulassung durch die US-Behörden wartet. Die Initianten argumentieren, dass dank RAS kein transgener Fisch in die Wildbahn entweichen könne. Im allgemeinen hat die RAS-Zucht von Atlantiklachs aber nichts mit der Genmanipulation von Fischen zu tun.
Nach konstantem Wachstum liefert die Zucht heute (2012) mehr als 2 Mio. Tonnen Atlantiklachs pro Jahr, während die Menge des Wildfangs dieser Art sozusagen irrelevant geworden ist.
Atlantiklachse in einem Tank (Foto: Peter Whyte, CSIRO, Wikimedia)
Hauptprobleme der heutigen Zucht
Eines der grossen Probleme der Zucht von Atlantiklachsen in Netzkäfigen besteht im Risiko des Entweichens (escape) der Zuchtfische ins umgebende Gewässer. Das kann Folgen für die wildlebenden Artgenossen haben: zusätzliche Konkurrenz um Futter und Lebensraum sowie – vielleicht noch wichtiger – Ansteckung mit Krankheiten aus der Zucht sowie Paarung von Zucht- und Wildlachsen. Weil die Genetik von Zuchtlachsen verengt wurde, könnte es den aus der Kreuzung hervorgehenden Fischen an der nötigen Fitness fehlen, was schliesslich das Überleben des Wildbestands gefährdet. Das Entweichen ist nicht nur ein grosses ökologisches Problem der Lachszucht, sondern auch eines für das Fischwohl; denn beeinträchtigt wird ja auch das Leben der wilden Atlantiklachse.
Man mag sich fragen, ob künstlich aufgezogene Atlantiklachse überhaupt in der Lage seien, in Freiheit lange genug zu überleben, um Schaden anzurichten. Es gibt aber keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen. Atlantiklachse werden erst seit 150 Jahren gezüchtet – sogar Arten, die seit Tausenden von Generationen domestiziert werden, wie Hühner oder Schweine, entfalten das volle Verhaltensrepertoir der Urform, wenn man ihnen die Gelegenheit dafür gibt.
Es gibt keine Netzkäfige, welche ein Entweichen absolut verhindern können. Die einzigen Systeme mit hundertprozentiger Sicherheit des Nichtentweichens sind Indoor-RAS-Anlagen.
Das grösste Fischwohlproblem der Lachszucht besteht wohl im Einsperren einer Art, die viel mehr Bewegungsraum braucht als irgendein Farmsystem je bieten könnte. In der Natur wandern Smolts viele Kilometer flussabwärts ins Meer, wo sie täglich bis zu 30 km zurücklegen. In der Farm müssen sie zwar nicht bis ins Meer schwimmen, weil sie dorthin gefahren werden, und sie müssen nicht herumwandern, da ihnen das Futter gegeben wird. Die entscheidende Frage ist aber: Verlieren die Atlantiklachse dank der Zucht ihren Wandertrieb?
Da es keine sicheren Belege dafür gibt, dass diese Frage mit Ja beantwortet werden kann, sollten wir Atlantiklachse weiterhin als Wanderfische betrachten. Was heisst das aber? Erleben sich Atlantiklachse als wandernd, wenn sie stetig gegen eine Meeresströmung im Käfig oder gegen die Einlaufströmung in einem RAS-Becken schwimmen? Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Fische dieser Art in der Lage sind, den Weg zurück zu ihrem Geburtsort über Hunderte von Kilometern zu finden, scheint es doch alle andere als plausibel, davon auszugehen, dass Schwimmen am immer gleichen Ort eine artgerechte Form des Wanderns sei.
Zukünftig könnte ein besonders durchdachtes System vielleicht geografische Landmarken simulieren, um den Wandertrieb zu befriedigen. Am besten hierfür eignen würden sich wohl RAS-Anlagen. Doch bis auf weiteres gibt es schlicht keine konkrete Antwort auf die Frage, wie man mit dem Wandertrieb umgehen soll. Nach einer Antwort suchen und vorbereitet darauf sein, sie dann in der Lachszucht umzusetzen, ist alles, was man heute tun kann.
Ein drittes wichtiges Fischwohlproblem ist die Enge und Eintönigkeit des Lebensraums in Gefangenschaft, mit verschiedenen Konsequenzen: fehlende Rückzugsmöglichkeiten, Mangel an Reizen und erhöhtes Risiko des Ausbruchs verschiedener Krankheiten.
Die RAS-Technik lässt sich so betreiben, dass Krankheiten vermieden werden, und ihre hochentwickelten Anlagen könnten an sich sogar so geplant werden, dass sie genügend Rückzug und Reize anbieten. Andererseits tendieren gerade RAS-Projekte dazu, die Besatzdichte zu erhöhen, um die wirtschaftlichen Zwänge zu bewältigen, auf die sie sich mit hohen Investitions- und Betriebskosten einliessen.
Trotz hitziger Diskussionen zwischen Farmern und Tier- und Umweltschützern beurteilen wir die Besatzdichte für sich allein nicht als Problem für das Fischwohl, jedenfalls nicht, solange sie in gewissen Grenzen bleibt, welche von den Wasserparametern gegeben werden. Die Besatzdichte wird aber zum Problem, wenn sie derart hoch angesetzt wird, dass kein Raum mehr bleibt für eine Strukturierung des Lebensraums, wie neue Forschung sie nahelegen könnte. Dies trifft vor allem auf RAS-Projekte zu, die oft auf zu optimistischen Businessplänen beruhen und später das Produktionsvolumen und damit die Besatzdichte steigern müssen, um die Investoren nicht zu enttäuschen.
Ein letztes grosses Fischwohlproblem hat mit der Fütterung der Atlantiklachse zu tun, die von ihrer Natur her Fisch fressen. Die Fischzüchter müssen sich überlegen, ob sie eine karnivore Art züchten sollen, die mit Fisch aus Wildfang gefüttert wird, was zur Überfischung beiträgt. Die Überfischung beeinträchtigt nicht allein die gefangene Fischart, sondern auch die marine Nahrungskette und folglich das Wohl der Meerestiere. Ganz zu schweigen vom Wohl der rund 450-1000 Milliarden Fische, die jährlich für Futterzwecke gefangen werden. Da sich immer mehr Konsument/innen solcher Zusammenhänge bewusst werden, könnte die Zucht von allesfressenden oder pflanzenfressenden Fischarten sich schon morgen als die bessere Wahl erweisen.
Labels sind keine Hilfe beim Einkauf, wenn es um das Wohl der Zuchtfische geht. Die Richtlinien der Bio-Labels sind noch am ehesten auf die Gewährung des Fischwohls orientiert; im Konkreten aber fehlen Bestimmungen. Alle andern Labels kümmern sich bestenfalls um die Gesundheit der Fische, nicht aber um deren Wohlsein in einem umfassenden Sinn. Das heisst, dass auch Fische unter Labels wie Bio, ASC, Friend of the Sea eher unter Bedingungen der Massentierhaltung gelebt haben.
Damit sich das ändert, braucht es mehr ethologische Forschung – und kritisches Nachfragen von jenen, die respektvoll gezüchtete Fische essen wollen.