Was ein Fisch weiss, sieht, fühlt…
Der nordamerikanische Ethologe Jonathan Balcombe ist einem breiteren deutschsprachigen Publikum seit seinem Besteller «Tierisch vergnügt» gut bekannt. Sein 2016 erschienenes Buch «What a Fish Knows» steht dem in nichts nach. Auf 250 Seiten führt der Autor quer durch alle möglichen Fischarten und zeigt eine unglaubliche Vielfalt an Fähigkeiten des Sehens, Hörens, Riechens, Fühlens, bis hin zu erstaunlichen kognitiven Leistungen unserer «Unterwasser-Verwandten».
In seinem Buch «Tierisch vergnügt» hatte Balcombe als anerkannter Wissenschafter den Mut bewiesen, viele anekdotische Beobachtungen an Tieren zu versammeln, die gemeinhin als «nicht wissenschaftlich» verpönt sind. Auch in «What a Fish Knows» gibt er zahlreichen Anekdoten über Beobachtungen an Fischen wieder, die ihm zugetragen worden sind. Er trennt im Buch aber klar zwischen «wissenschaftlichen Erkenntnissen», das heisst von andern Wissenschaftern reproduzierbaren Resultaten, zum Beispiel aus Experimenten, und «vorwissenschaftlichen», weil nicht wiederholten Beobachtungen. Es gehört für mich zu den Stärken des Buchs, dass diese Trennung zweier Wahrnehmungsebenen nicht wertend gezogen wird, sondern lediglich klärend. Zu recht; denn würde Wissenschaft von zufälligen Beobachtungen abgeschirmt, käme sie wohl kaum auf die Idee, diese oder jene Hypothese zu prüfen. Das dürfte erst recht zutreffen für eine so junge und weit verzweigte Wissenschaft wie die vom Verhalten der Fische, also von weit über 30'000 Arten.
Balcombe nimmt uns zuerst mit auf seine eigene kleine Biografie im Umgang mit Fischen, vom Schüler, der zum Fischen mitgenommen worden war und mittat, über seine Studien in Biologie und Ethologie bis zum Keimen der Ahnung dafür, dass Fische Wesen sind wir wir. Fünf Jahre lang hat er sich in die Welt der Fische eingearbeitet, um sein neustes Buch zu schreiben. Er stellt die verschiedenen Sinne bei Fischen dar, auch die Seitenlinie, die wir nur theoretisch verstehen können, da wir über nichts Gleichartiges verfügen, und er zeigt, wie die spezifische Entwicklung eines bestimmten Sinnes bei einer Art mit der ökologischen Nische zusammenhängt, die sich diese Art im Lauf der Evolution zu sichern wusste.
So wird mit fortschreitendem Lesen eine unglaubliche Vielfalt an spezifischen Wahrnehmungswelten deutlich. Manchmal ertappt man sich bei einer Stelle, wie man sich unwillkürlich die Frage stellt: Wie ist das eigentlich bei mir? Wie nehme ich dies oder jenes wahr – und was alles bleibt mir verborgen, da mir der geschärfte Sinn dafür fehlt? Balcombes Buch ist nicht nur eine grossartige Einführung in das Leben der Fische, es ist darüber hinaus eine Einladung, über das Leben an sich und dessen viele Formen staunend nachzusinnen. Diesem Buch sind viele Leser/innen zu wünschen, die es erst nach der letzten Seite aus der Hand legen und die danach die Welt mit etwas mehr Ehrfurcht und Liebe wahrnehmen.
Billo Heinzpeter Studer